Leseproben
-
Der Bannwald – Eine Legende entsteht
-
Der Bannwald – Die Feleriane
-
Der Bannwald – Neue Drachen
-
Geschichten aus dem havana – Band 1
-
Bist du es…?
Nachdruck oder Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Copyright by Nimrodus
Der Bannwald – Eine Legende entsteht:
Kapitel 1: Der Wächterbaum
Kapitel 3: Die Feuerkugel
Kapitel 1: Der Wächterbaum
»Wie lange ist es jetzt her? « Wilhelm hat diese Geschichte nun schon so oft erzählt, dass er sie wohl auch im Schlaf murmeln könnte, ohne ein Wort abzuweichen. Über die Jahrzehnte hat sich jeder Gedanke an dieses Geschehen so tief in sein Gehirn gegraben, dass er sie in regelmäßigen Abständen in seinen Träumen immer wieder durchlebt.
»Nun, wie lange es jetzt her ist? Warum stellen Sie diese Frage? Sie wissen es doch fast ebenso genau wie ich. Sie kommen doch nur wegen des Datums. Eben, weil Sie ganz genau wissen, wie lange es schon her ist. In wenigen Tagen jährt es sich nun zum hundertsten Mal. Oder bringe ich da über die Jahre etwas durcheinander? «
»Nein, ich glaube nicht, Herr Brunner. Nach den Informationen die mir vorliegen, sind wir in der Tat im hundertsten Jahr. Nach den Aussagen, die Sie vor fast hundert Jahren machten und den Aufzeichnungen der Zeugenaussagen von damals, sollten es noch genau acht Tage sein. «
»Das ist auch die Zahl, auf die ich komme, wenn ich nachrechne – sofern das überhaupt notwendig ist. «
»Um ehrlich zu sein, würde man das einem Menschen in Ihrem Alter eher nicht zutrauen. Zumal es noch keinen Menschen gab, der Ihr Alter erreicht hätte. Zumindest nicht, seit es Aufzeichnungen darüber gibt. Nur noch einmal für unsere Leser bitte, wie alt sind Sie jetzt genau? «
»Einhundertfünfundvierzig Jahre, sechs Monate und dreiundzwanzig Tage.
Aber auch das und da bin ich mir absolut sicher, wissen Sie bereits. «
Wilhelm sagt das ohne jegliche Spur von Ironie oder Verärgerung in der Stimme. Er schaut die Journalistin mit einer Mischung aus Neugier und forschender Musterung an.
»Herr Brunner, ich habe Fotos von Ihnen aus dem Jahr 2015 gesehen. Nach dem Datum auf der Rückseite, wurden sie im gleichen Monat gemacht wie die Geschichte begann. Wenn man einmal davon absieht, dass Ihre Haare jetzt einige Zentimeter länger sind, scheinen Sie sich überhaupt nicht verändert zu haben. «
»Liebe Frau – äh – Nagel? «
»Ja, Irene Nagel «, antwortet die Journalistin mit dem Anflug eines Schmunzelns auf den Lippen.
»Nun, liebe Frau Nagel, fragen Sie mich bitte nicht woran das liegen mag. Bis vor zwanzig Jahren haben mich mehr Ärzte untersucht, als Alzey Einwohner hat. Bei einer der letzten Untersuchungen habe ich mal nachgefragt. Die haben mir über die Jahrzehnte mehr als eintausend Liter Blut abgezapft. « Bei diesen Worten schaut ihn die Journalistin ungläubig an.
»Über eintausend Liter Blut? «, fragt sie nach.
»Ja, ist eine Menge Zeug für einen Menschen, aber wenn Sie nachrechnen, macht das nur knapp einen Liter pro Monat, wenn sie das über achtzig Jahre anlegen. Aber wozu das alles? Was haben sie gefunden? Nichts. Zumindest nichts, was sie mir gesagt hätten oder worüber sie mit mir gesprochen hätten. Irgendwann war ich es dann einfach Leid. Trotz aller Beteuerungen dieser Frauen und Männer, wie wichtig das doch für die Wissenschaft sei, hatte ich einfach die Nase voll. Ich habe es abgelehnt, mich weiterhin wie eine Laborratte untersuchen zu lassen. Jetzt gehe ich noch drei bis vier Mal im Jahr zu meinem Arzt.
Sicher, er nimmt auch jedes Mal mehr Blut ab, als er für die Untersuchungen bräuchte, aber darüber haben wir irgendwann ein unausgesprochenes Stillschweigen vereinbart. Ich weiß, dass er es weitergibt und es stört mich auch nicht weiter. Es scheint den Herren zu genügen, dass sie mich dafür in Ruhe lassen. Also nehme ich es als das kleinere Übel hin. Aber gefunden haben die Ärzte nichts. Ich kann Ihnen also nicht erklären, warum ich mich nicht verändert habe seit jener Zeit. Ich kann nur die gleiche Vermutung äußern, die ich schon seit Jahrzehnten hege. Aber auch die ist zur Genüge bekannt und muss wohl nicht wiederholt werden.«
»Nun Herr Brunner, Ihre Vermutung ist im Volksmund schon zur Erklärung schlechthin geworden. Genauso, wie Sie selbst zum Begründer der wohl fabelhaftesten Legende der letzten Jahrhunderte geworden sind. Die Geschichte des Wilhelm Brunner ging mehrfach um die Welt. Und gerade jetzt, wo sich der hundertste Jahrestag dieses – Ereignisses nähert, gibt es eben ein großes Interesse an Ihnen und Ihrer Geschichte. Sie müssen also entschuldigen …«
»Meine liebe Frau Nagel, ich verstehe recht gut. Die Leute wollen wissen, was Wahrheit und was Geflunker ist. Nun, in wenigen Tagen werden es alle sehen. Einschließlich mir. Denn das vergessen nämlich all diese Leute nur allzu gern. Ich habe nichts davon bewirkt. Ich bin genauso betroffen, wie alle anderen auch. Der einzigste Unterschied zwischen mir und all den anderen, die es betroffen hat ist der, dass ich noch lebe. Irgendwie scheint mich diese Tatsache in den Augen der Leute schuldig zu machen. Dabei ist es mir mehr Strafe, als all den anderen, die damals Zeuge dieses Geschehens wurden. «
»Sie meinen, es ist eine Strafe für Sie, dass einhundert Jahre an Ihnen vorüber gegangen sind, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen? «, fragt die Journalistin mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Liebe Frau Nagel …«
»Irene, bitte sagen Sie doch Irene «, wirft die Journalistin ein, in der dieses »Liebe Frau Nagel « jedes Mal einen Krampf verursacht. Zum einen fühlt sie sich mit ihren fünfunddreißig Jahren noch nicht wie eine »Liebe Frau … « und zum anderen ist sie gerade dabei, den Namen ihres Exmannes abzulegen. Nagel ist nicht mehr der Name, mit dem sie sich identifizieren will, nicht nachdem was geschehen ist. Auch wenn Herr Brunner jetzt vielleicht liebe Irene sagen würde, wäre ihr das doch wesentlich angenehmer. Wilhelm schaut sie derweil unverwandt an und zeigt ein offenes Lächeln.
»Gut Irene, dann nutze ich genießend das Recht des Älteren und möchte Dir gerne das Du anbieten. Ich bin der Wilhelm. « Mit diesen Worten reicht er der Journalistin die Hand und schaut ihr unverhohlen in die Augen. Sein Blick ist offen und zeigt keine Spur von persönlichem Interesse an der durchaus attraktiven Journalistin. Diese erwidert seinen Blick und ergreift seine Hand. »Irene … ich – ich heiße Irene «, sagt sie mit einer hörbaren Spur von Überwältigung in der Stimme.
»Verzeihen Sie, ich bin etwas überrascht. Sie sind …«
»Du, du bist «, sagt Wilhelm, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen.
»Entschuldigung, aber Sie … du – bist der älteste lebende Mensch und äh … ich war auf so etwas ehrlich gesagt nicht vorbereitet. «
Wilhelm hebt sein Glas Rotwein und prostet Irene zu. »Dann lass uns darauf anstoßen, vielleicht fällt es dir ja so leichter. «
Irene hebt ihr Glas. Beide prosten sich zu und sprechen dabei erneut ihre Vornamen aus. Irene grinst.
»Es ist trotzdem ein etwas seltsames Gefühl. Verzeih … bitte, wenn ich manchmal rückfällig werde. «
»Aber, was gibt es denn da zu verzeihen? Ich denke, es wäre für mich im umgekehrten Fall auch nicht gerade einfach. Kommen wir jedoch zum Thema zurück. Du fragtest mich, ob die hundert spurlosen Jahre die Strafe für mich wären. Nein, diese Tatsache ist wohl der angenehmere Effekt an dieser Geschichte, auf den ich allerdings gerne verzichtet hätte. Die Strafe selbst ist eine andere. «
Wilhelm schaut bei diesen Worten mit leicht versonnenem Blick zu seinem Weinglas, das mittlerweile wieder vor ihm auf dem Tisch steht.
»Darf ich oder besser unsere Leser wissen, was denn die eigentliche Strafe ist? «, fragt Irene vorsichtig weiter, als sie den Glanz in seinen Augen bemerkt.
»Die Strafe ist das Leben – und der Tod. Das Leben für mich, das länger geworden ist, als es sein dürfte und der Tod der Anderen. Meine Frau ist gestorben. Damals im gleichen Jahr. Ich habe im Lauf der Jahrzehnte drei Kinder beerdigt. Ich musste fünf Enkelkinder und schon acht Urenkel zu Grabe tragen. Das nenne ich eine Strafe. Kein Mensch sollte seine Kinder zu Grabe tragen müssen. Aber auch noch die Enkel und gar die Urenkel …«
Bei diesen Worten kommt die Erinnerung an die letzte Beerdigung vor sechs Wochen hoch, als er seinen Urenkel Wolfgang zur letzten Ruhe geleitete. Wilhelm steigen die Tränen in die Augen und er versucht sie weg zu blinzeln. Er bemerkt Irenes analysierenden Blick und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Entschuldige bitte, eigentlich habe ich nicht so nahe am Wasser gebaut, aber dennoch habe ich wohl mehr Tränen vergossen, als jeder andere Mensch. Nun, die Jahre bringen es eben mit sich oder besser die Jahrzehnte. « Noch während er bemüht ist den Rest seiner Tränen weg zu blinzeln schaut er wieder zu Irene. Als er ihrem Blick begegnet, ist er trotz seiner, doch zahlreichen Erlebnisse, überrascht. Was er in ihren Augen sieht ist kein Mitleid. Aber dennoch zeigen sie eine Art von vertrautem Verständnis. Es kommt ihm so vor, als würde sie wirklich verstehen oder erfühlen können, was er beschreibt.
»Ich glaube es oder glaube es sogar zu wissen. Auch wenn ich mit meinen fünfunddreißig Jahren nur einen Bruchteil dessen erlebt habe, was du erlebt haben musst, ist es doch schon etwas mehr, als normale Menschen erleben. Aber ich bin hier, um über Wilhelm Brunner zu berichten und nicht, um über mein Leben zu plaudern. Also, vielleicht erzählen Sie … du – mir die ganze Geschichte noch ein Mal für unsere Leser. So kurz vor dem Hundertjährigen wünschen sich unsere Leser die Geschichte vom letzten, noch lebenden Zeitzeugen zu hören. Würdest du mir den Gefallen tun und die Geschichte für meine Leser noch ein weiteres Mal erzählen? «
Wilhelm schaut ihr in die Augen und überlegt kurz.
»Warum sollte ich sie noch ein weiteres Mal erzählen? Ich habe sie schon hunderte Male erzählt. Sie würde durch ein weiteres Mal nicht richtiger oder falscher und anders wird sie auch nicht mehr. Dafür habe ich sie schon zu oft erzählt. Es würde doch genügen, wenn deine Zeitung irgendeine dieser Geschichten drucken würde. «
»Es ist das Datum «, antwortet Irene auf Wilhelms fragende Ausführungen.
»Alle Augen schauen auf den Kalender. In wenigen Tagen wird eine Legende wahrscheinlich zur Wirklichkeit. Die ganze Welt richtet ihr Augenmerk auf den Wald um die fünfzehn Ortschaften. Schon seit Wochen sind die Zeitungen voller Theorien und Überlegungen darüber, was wohl genau in wenigen Tagen passieren wird. Im Fernsehen und den Kinos laufen seit Monaten Filme, die sich mit dem gleichen Thema befassen und verständlicherweise die wildesten Theorien abhandeln. Die Menschen sind jetzt sehr stark sensibilisiert für dieses Thema. Bitte, tun Sie … tue mir doch den Gefallen. «
Wilhelm greift nach seinem Glas Rotwein und schaut versonnen hinein. Er nimmt einen kleinen Schluck und saugt, durch die leicht gespitzten Lippen, etwas Luft in den Mund. Über die vielen Jahre hin, hat er seine Angewohnheiten verfeinert, um die schönen Dinge des Lebens, so gut es eben geht, zu genießen. Dann hebt er seinen Blick und schaut in Irenes Augen.
»Erst jetzt denken die Leute wieder an diese Geschichte. Durch die Sensationsgier der Medien wieder geweckt, weil man hofft, jetzt noch mal richtig Geld zu verdienen. Sie hatten es wohl alle vergessen. Besser gesagt, es lebt ja eh’ niemand mehr, der sich noch erinnern könnte. Seit Jahrzehnten ist es eine vergessene Geschichte. Bis auf den kleinen Kreis aus Wissenschaftlern, die seit damals an diesem Rätsel arbeiten. Der einzigste Mensch, der sich erinnern kann und das auch permanent macht, bin ich. Seit hundert Jahren mache ich mir Gedanken darüber, was damals eigentlich geschehen ist. Und auch darüber, was in wenigen Tagen wohl geschehen wird.
Seit damals vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denken würde. Ob sich das einer deiner Leser auch nur im Ansatz vorstellen kann?
Hundert Jahre nachdenken, hundert Jahre hoffen endlich verstehen zu können. Hundert Jahre bangen, wie es wohl sein wird, wenn es endet. Hundert Jahre …« Wieder schaut Wilhelm abwesend in sein Weinglas, das er noch immer in der Hand hält. Er seufzt auf, als ein Sonnenstrahl durch das Fenster hinter ihm sein Weinglas trifft und dem Rotwein darin für einen kurzen Moment die Farbe frischen Blutes verleiht. Irene fühlt sich, zwischen dem Drang seine Geschichte zu hören und dem Wunsch ihn nicht zu belästigen, hin und her gerissen.
»Ich weiß nicht, ob sich das jemand vorstellen kann. Ich kann nur sagen, dass ich damit Probleme habe, es mir vorzustellen. Der Zeitraum ist einfach zu groß, um sich einen immer gleichen Gedankengang vorzustellen. Ich glaube, einen labilen Menschen könnte schon allein die Vorstellung davon in den Wahnsinn treiben. Verzeih mir bitte, wenn ich, als eine Vertreterin der Medien jetzt vielleicht etwas geschäftstüchtig klingen mag, aber genau solche Dinge sind es, die die Menschen im Eigentlichen interessieren. Die Geschichte selbst ist hinlänglich bekannt. Darin hast du vollkommen Recht. Das wirklich Interessante daran bist – du. Das, was du darüber denkst, was du fühlst, was dich daran bewegt und wie es dich verändert hat. Und natürlich deine Gedanken darüber, was wohl in den nächsten Tagen geschehen wird. « Irene schaut Wilhelm jetzt unverwandt an. Sie weiß, dass sie mit den letzten Worten alles auf eine Karte gesetzt hat. Entweder, sie konnte in diesem einzigartigen Mann etwas berühren, das ihn dazu bewegen kann, ihr seine Geschichte zu erzählen oder er würde sich weigern und sie höflich aber bestimmt hinaus komplimentieren.
»Du klingst wahrhaft wie eine geschäftstüchtige Journalistin. Aber da ist noch mehr. «
Kapitel 3: Die Feuerkugel
…. Mit diesen Worten geht Irene auf Adalbert zu, der sie schmunzelnd ansieht, sich umdreht und in den Wald davon geht. Irene dreht sich kurz zu Wilhelm. »Kommst du? «
Wilhelm sieht sie mit einer Mischung aus belustigtem Erstaunen an, setzt sich aber sofort in Bewegung. Schweigend gehen sie durch den Wald, der für Irene nicht anders aussieht, als jeder andere Wald auch. Sie gehen auf Waldwegen, die Wilhelm noch aus seiner Zeit als Waldarbeiter kennt. Plötzlich bleibt Adalbert stehen.
»Wir haben etwas vergessen «, sagt er halblaut an Wilhelm gewandt. »Irene hat ja keine Ahnung, wo wir hier sind. Sie kann ja noch gar nicht sehen. «
Wilhelm nickt.
»Ich überlege schon die ganze Zeit, ob das eher ein Vorteil oder Nachteil für sie ist «, sagt er zu Adalbert, der ihn erstaunt ansieht.
»Wie so oft, bewundere ich deinen Reichtum an sinnvollen Gedanken, mein Freund. In der Tat, das ist eine nicht unerhebliche Frage, die beantwortet sein sollte, bevor wir weitergehen. «
Mit diesen Worten zieht Adalbert seinen Zauberstab, singt eine Art kurzes Lied und drei hockerähnliche Sitzgelegenheiten wachsen aus dem Boden. Wie selbstverständlich nehmen alle drei darauf Platz.
Irene schaut fragend von Wilhelm zu Adalbert, enthält sich aber jeglicher Meinungsäußerung. Adalbert spricht leise, schaut dabei aber in eine Richtung, in der weder Wilhelm noch Irene als Ansprechpartner gemeint sein können. Schließlich steht Adalbert auf und stellt sich vor Irene. Unverwandt zückt er seinen Zauberstab.
»Es tut mir Leid, aber wir denken es ist das Beste so «, sagt er und beginnt erneut ein Lied zu singen.
Irene schaut angstvoll zu Wilhelm, der ihr nur beruhigend zunickt. Dann schaut sie gebannt auf den vor ihrem Gesicht kreisenden Zauberstab. Mit einem starken Kribbeln in der Magengegend erwartet sie, dass gleich ein Blitz aus seinem Zauberstab zuckt. Als Adalbert jedoch aufhört zu singen, seinen Zauberstab senkt und sich für Irene nichts verändert hat oder gar spektakuläres geschehen wäre, fällt die Anspannung mit einem Mal von ihr ab. Neugierig und voller Erwartung blickt sie sich um, ob sie irgendwelche Veränderungen am Wald wahrnehmen kann. Dann sagt sie leicht resigniert und mit etwas Sarkasmus in der Stimme:
»Na, das ging ja dann wohl daneben oder kann es sein, dass der Wald der gleiche geblieben ist? Soll das so sein? «
Adalbert schaut sie bewundernd an.
»Sie gewinnen Ihre Fassung ja recht schnell zurück, meine Gute. Und die Ironie und der Witz, mit dem Sie an die ganze Sache drangehen, lässt auf ein erstaunliches Selbstbewusstsein schließen. Aber um Ihre erneute Frage zu beantworten, ja, das war es schon und danebengegangen ist es hoffentlich nicht. Ich denke, ich muss Ihnen einige ergänzende Auskünfte bezüglich der Magie geben. Magie oder so wie Sie es nennen, Zauberei, ist kein Hokuspokus. Es ist nichts, das man aus dem Ärmel schüttelt. Vergessen sie alles darüber, was sie aus Filmen oder Geschichten kennen.
Ich spreche ein Wort und ein Zauber geschieht, ganz so einfach ist es nicht mit der Magie.
Magie ist eine Melodie. Und um mit ihr etwas zu erwirken, muss man diese Melodie fühlen, sich von ihr durchdringen lassen und versuchen sie dahin zu lenken, wo sie das bewirken kann, was man erwünscht. Sie werden wohl nie einer Magierin oder einem Magier begegnen, der den Zauberstab auf Sie richtet, fall um sagt und Sie fallen sofort um. Das ist etwas, das wirklich ins Reich der Legenden, der Mythen und Märchen gehört. Die Magie ist eine Melodie. Deswegen singen wir auch bei so vielen unserer – ja, Zauber. In jedem klingt die Melodie etwas anders. Jeder singt sein eigenes Lied. Und je nach Wahl der Worte, je nachdem wie zutreffend sie das Ereignis beschreiben, das man sich ersehnt oder herbeizuführen wünscht, je nach dem wie diese Worte mit der Melodie harmonisieren, je nach dem ist die Stärke des ausgeführten oder auszuführenden Zaubers. Je perfekter oder harmonischer das Lied, je größer und gewaltiger ist der Zauber, der damit gewirkt werden kann. Doch achten Sie bei den magischen Wesen nicht zu sehr auf das Vorhandensein eines Zauberstabes. Zum einen braucht nicht jedes Wesen einen Zauberstab um Magie auszuführen, zum anderen gibt es Zauber, die keinen Zauberstab benötigen. Zauberstäbe sind sinnvoll für Entfernungszauber, für Dinge, die über Distanz geschehen sollen und sie dienen zur Vereinfachung des Zaubers, in dem man durch den Zauberstab die Magie besser fokussieren kann. Doch auch das ist lediglich ein Hilfsmittel für die Konzentration dessen, der den Zauber auszuführen wünscht. Aber lassen Sie uns weitergehen. Der Zauber, den ich über Ihre Augen gesprochen habe, wird noch eine Weile brauchen um zu wirken. «
Adalbert steht auf und reicht Irene seine Hand, die sie ergreift und mit ihm zurück zum Waldweg geht. Wilhelm schwenkt seinen Zauberstab und lässt die Waldhocker wieder verschwinden.
»Lass sie uns in die Mitte nehmen «, sagt Adalbert, als Wilhelm hinter ihnen auf den Waldweg tritt. »Ich bin mir nicht sicher, wie schnell der Zauber wirkt und sollte sie sich erschrecken, möchte ich nicht, dass ihr irgendetwas geschieht, was wir so verhindern können. «
Wilhelm tritt rechts neben Irene und reicht ihr seinen Arm, in den sie sich bereitwillig einhakt. Auch Adalberts Arm, der ihr jetzt geboten wird, nimmt sie dankbar an. Mit einem Schmunzeln schaut sie von einem zum andern.
»Was sollte einer Wald-Weltfremden Frau wie mir mit zwei so stattlichen Herren an ihrer Seite denn schon noch passieren «, sagt sie und schlendert gemütlich zwischen den beiden Männern daher.
Plötzlich stößt sie einen spitzen Schrei aus und zieht ruckartig den Kopf ein. Sie lässt sich so tief nach unten sinken, dass die überraschten Adalbert und Wilhelm Mühe haben stehen zu bleiben.
»Wow, habt ihr das denn gar nicht gesehen? «, fragt Irene mit einem überaus erschrockenem Gesichtsausdruck.
»Was gesehen? «, fragt Wilhelm, der genauso ahnungslos ist wie Adalbert.
»Na diesen Riesenvogel der eben fast auf Kopfhöhe über uns hinweg geflogen ist. Der war mindestens fünf oder sechs Meter breit «, erzählt Irene aufgeregt. »Sein Kopf war grasgrün, der vordere Teil seiner Flügel schimmerte dunkelblau und der Rest der Flügel war feuerrot. Sein Schwanz war bestimmt zwei Meter breit gefächert und schwarzrot gefärbt. Aber den müsst ihr doch auch gesehen haben.
Der ist direkt über uns hinweg geflogen. Mit seinen Flügeln hat er fast meinen Kopf gestreift, ich hab den Windhauch gespürt «, sagt Irene, die jetzt mit beiden Armen wild gestikulierend zwischen Adalbert und Wilhelm steht.
»Schau an «, sagt Adalbert an Wilhelm gewandt, »sie hat einen Riesenphönix gesehen, wenn das mal kein gutes Vorzeichen ist. «
Wilhelm nickt Adalbert zu. Beide haken Irene wieder ein und setzten ihren Weg fort.
»He Leute «, sagt Irene protestierend, »wie wäre es vielleicht mal mit einer Erklärung. Was habe ich da gesehen und wieso habt ihr es nicht gesehen? «
Doch bevor einer der Beiden antworten kann, zuckt Irene ein weiteres Mal mit einem spitzen Schrei zusammen. Doch diesmal reißt sie sich zusammen und versucht standhaft zu bleiben.
»Jetzt sagt mir bitte nicht, dass ihr das auch nicht gesehen habt. «
»Beschreibe es uns doch «, fordert Wilhelm sie mit einem bittenden Blick auf.
»Na ja, klingt vielleicht ein bisschen blöde, aber gibt’s hier im Wald Libellen, die ungefähr einen halben Meter groß sind und auf denen kleine Wesen sitzen? «
»Ja die gibt es «, antwortet Wilhelm, der sie sanft am Arm zieht um sie zum Weitergehen zu bewegen.
»Nun «, meldet sich Adalbert zu Wort, »der Zauber wirkt wesentlich schneller, als ich angenommen hatte. Auch ist er viel stärker ausgefallen, als ich vermutet habe. Eigentlich sollte sie nur sehr langsam und eher verschwommen die Veränderungen am Wald selbst wahrnehmen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie gleich die signifikantesten Merkmale unserer Magie hier im Wald wahrnimmt. Wenn das so weiter geht, werden wir nicht Stunden, sondern Tage brauchen, bis wir dort sind. Wilhelm, es sollte uns unbedingt etwas einfallen, um diese ständigen Störungen zu minimieren. «
»Na ja «, antwortet Wilhelm, »wir könnten Irene bitten die Augen geschlossen zu halten oder sie ihr verbinden. «
»Sagt mal, wisst ihr denn auch was ihr wollt? «, wirft Irene dazwischen. »Erst verpasst ihr mir den bösen Blick und dann wollt ihr mir die Augen zuhalten? Also entweder oder. Soll ich jetzt sehen oder soll ich nicht sehen? « Sie schaut Adalbert mit einen durchdringenden und fast bohrenden Blick an.
»Meine liebe Frau Nagel «, setzt Adalbert mit leicht gereiztem Unterton in der Stimme an.
»Oh bitte nein «, wirft Irene sofort dazwischen. »Jetzt fangen Sie bitte nicht auch damit an. Können Sie wenigstens das »meine Liebe « weglassen? Ich bekomme nämlich jedes Mal eine Gänsehaut, wenn jemand zu mir »Meine Liebe Frau « sagt. Sagen Sie doch einfach Frau Nagel. Ich würde ja sagen Irene, aber ich möchte bei weitem nicht respektlos erscheinen. Ich glaube noch immer, dass ich bei Wilhelm einen leicht respektlosen Eindruck hinterlassen habe, als ich ihn bat, er solle mich Irene nennen. Dabei kommt es mir nur darauf an, nicht unbedingt mit »Meine liebe Frau « angesprochen zu werden. Ich fühle mich nämlich bei weitem nicht wie eine liebe Frau. Also sehen Sie es mir bitte nach und sagen Sie Frau Nagel oder Irene. Ich wäre Ihnen sehr verbunden.
»Ganz wie Sie wünschen – Irene «, antwortet Adalbert.
»Das was Sie da soeben gesehen haben, sind Geschöpfe der Magie, allerdings waren sie nicht hier. Es waren nur Abbilder der Magie. Abbilder sehr starker Magie, muss ich zugeben. Und bis Sie tatsächlich die Fähigkeit gewinnen, den Wald so zu sehen, wie wir ihn sehen, werden Ihnen diese Dinge noch häufiger passieren. Eigentlich ständig. Denn Sie reagieren ausgesprochen schnell und überaus intensiv auf diesen Zauber. Und ich denke in wenigen Stunden werden Sie genau das sehen, was auch wir sehen. Aber bis es soweit ist, werden Sie leider mehr oder weniger von Halluzinationen oder magischen Ereignisbildern oder wie auch immer Sie es nennen wollen, heimgesucht. Es tut mir außerordentlich Leid, aber das ist nicht zu vermeiden.
Wissen Sie Irene, es ist das Gleiche, als ob sie einem Blinden das Augenlicht zurückgeben. Er lebt in absoluter Dunkelheit und plötzlich nimmt er die Welt wahr in den schillernsten Farben. Sie werden die unglaublichsten Dinge sehen. Aber nehmen Sie es nicht als allzu real hin. Wilhelm und ich werden Sie den Weg entlang geleiten. Wir nehmen Sie weiterhin in die Mitte und solange wir Ihnen nicht Achtung gebieten, müssen Sie sich vor nichts fürchten. Nehmen Sie die auftauchenden Bilder einfach als das was sie sind, Bilder. Sie sollten versuchen, es als eine Art Lexikon zu sehen.
Sobald etwas für Sie außergewöhnliches auftaucht, fragen Sie sich im Geist einfach nach dem Namen dessen was Sie da sehen. Mit etwas Übung könnte es funktionieren und Sie erhalten zu allem das Sie sehen einen erklärenden Begriff. Und jetzt verzeihen Sie mir bitte meine Eile, aber lassen Sie uns weitergehen. «
Wieder hakt sich Irene bei beiden ein und die Drei setzen ihren Weg fort.
Schweigend ist fast eine Stunde vergangen, als Irene ein geflüstertes »wow «, entfährt.
»So ähnlich muss es wohl sein, wenn du auf `nem LSD-Trip bist. Da siehst du auch jede Menge Zeugs, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt.«
Die Bilder, die vor Irenes Blick ablaufen, zeigen ihr allerlei fantastische Geschöpfe dieses zauberhaften Waldes. Mit jedem Bild scheint sich ihre Umwelt ein kleinwenig mehr zu verändern. Sie sieht große Pilzkulturen an riesigen Bäumen, denen kleine, geflügelte Wesen die Sporen aus dem Lamellenkleid kitzeln, sie einsammeln und in kleinen Beuteln verwahren. An anderen Bäumen hängen lianenähnliche Ruten herab, die einen Unterschied darin zu machen scheinen, wen sie in die Nähe des Baumes lassen und wen nicht. Die dünneren, der tentakelähnlichen Äste, scheinen ähnlich einem Kuhschwanz lästige Störenfriede zu verjagen. Die etwas dickeren bewegen sich auffallend träge, ziehen aber die einmal eingeschlagene Bahn durch, als wollten sie so größere Hindernisse beseitigen.
Gerade tauchen zwei weitere Bäume vor ihrem Auge auf. Sie stehen rechts und links des Weges und schwingen bedächtig ihre Tentakel. Die Dünneren schneller, die Dickeren langsamer. Neugierig blickt Irene auf drei dickere Tentakel, die jetzt ihre Bahn über dem Weg zu ziehen scheinen. Gleichzeitig kommt rechts aus dem Unterholz eine armdicke Schlange in den verschiedensten Orangetönen über den Weg gekrochen. Name? Denkt sich Irene, wie schon hunderte Male zuvor in der letzten Stunde und über der sich bewegenden Schlange, erscheint für Irene eine deutlich lesbare Schrift.
// Fuskorusnatter. Ernährt sich fast ausschließlich von jungen Fuskoren. Für Homo Cognito nur gefährlich im zarten Kindesalter. //
Schlange und Schrift verschwinden zur linken Seite im Unterholz. Irene hebt wieder ihren Blick und wendet sich dem Spiel der Tentakel zu und während Adalbert und Wilhelm geschickt zur Seite ausweichen, trifft der mittlere Tentakel Irene genau am Kopf.
Sie sackt sofort zwischen den beiden Männern zusammen, die jedoch keine Mühe haben, sie festzuhalten und wieder auf die Beine zu stellen.
»Autsch «, sagt sie, lässt Wilhelm los und fasst sich mit der rechten Hand an die Stirn. Sie fühlt eine warme Flüssigkeit, zieht die Hand zurück und schaut sie sich an. »Na toll, eine Platzwunde «, jammert sie. »Leute, echt super gemacht. Wer solche Freunde hat wie euch zwei, der braucht wahrlich keine Feinde mehr. Ich dachte ihr wolltet mich warnen, wenn was passieren kann. Und jetzt schaut euch das an. Mitten auf der Stirn. « Irene seufzt und Wilhelm schaut sie fassungslos an.
»Ja hast du das denn nicht kommen sehen? «
»Sicher hab ich das «, erklärt sie gereizt. »Aber ich hab ja auch Vögel kommen sehen, die mir durch den Kopf geflogen sind und Libellen hab ich gesehen, die glatt durch mich durch geflogen sind. Hast du eine Ahnung, was in der letzten Stunde alles durch mich hindurch geflogen ist? Mir haben sich Viecher um die Beine gewunden. Aber nichts davon war real, nichts. Alles waren nur Bilder. Ich dachte eben, die drei Tentakel seien auch nur Bilder. Und da ihr nichts gesagt habt, mich nicht gewarnt habt, aber, ach ja, vielen Dank auch noch mal, für euer rechtzeitiges Achtung Irene, duck dich. Wäre wirklich nicht nötig gewesen. «
Der Bannwald – Die Feleriane:
Kapitel 1: Antworten
Kapitel 2: Freundschaft
Kapitel 1: Antworten
Irene schaut Fedor fragend an, geht aber mit den Anderen zusammen durch das übergroße Portal in den nächsten Raum.
»Wir befinden uns jetzt im Versammlungsraum der Riesen«, sagt Fedor, der Irenes Hand losgelassen hat und seinen Arm um ihre Taille legt.
Irene kann die Menge der Tische und Bänke nicht überblicken, da diese sie um Körperlänge überragen.
»Wenn das da draußen ein typischer Riese ist, dann müssten ungefähr acht von ihnen an solch einem Tisch Platz haben. Sag mal, wie viele Tische stehen denn in dieser Halle?«, fragt Irene.
»Einundzwanzig Tische«, antwortet Fedor, »aber wenn ich die Geschichte der Ratshalle richtig im Kopf habe, waren sie erst zweimal voll besetzt.«
Sie folgen Adalbert, der gerade vor ihnen rechts hinter einer Bank verschwunden ist. Als sie nach einer weiteren Abbiegung hinter Adalbert zu stehen kommen, erkennt Irene, dass sich der magische Rat schon vor ihnen versammelt hat.
Als Adalbert einen weiteren Schritt auf den Rat zugeht, teilt sich dieser in zwei Gruppen, durch die Adalbert auf einen großen, runden Tisch zusteuert.
»Ist das wieder eine Projektion?«, fragt Irene flüsternd Fedor.
»Allerdings sehen sie nun etwas anders aus.«
»Ich hoffe mit anders – meinen Sie echter und natürlicher«, sagt jetzt der Zentaur Faradin, der einladend seine rechte Hand ausstreckt und in Richtung des Tisches zeigt.
Ohne sein verschmitztes Grinsen zu verlieren, fordert er sie höflich auf Platz zu nehmen.
»Aber setzen wir uns doch erst einmal. Wir würden uns gerne ein wenig unterhalten und Ihnen natürlich auch Rede und Antwort stehen.«
Irene nickt nur und lässt sich von Fedors Arm sanft durch die Reihe des Rates schieben. Sie gehen um den Tisch herum und als sie neben Adalbert angekommen sind, lässt Fedor sie los und schiebt ihr zuvorkommend beim Hinsetzen den Stuhl nach.
Als alle Freunde am Tisch sitzen, schließt der Rat zu ihnen auf und bis auf die Zentauren und Samtalben, nehmen alle am Tisch Platz. Wieder ist es der Zentaur Faradin, der zuerst das Wort ergreift.
»Als erstes möchte sich der Rat bei Ihnen entschuldigen, dass er Ihnen ein Versprechen gab, welches er mit Vorsatz gebrochen hat.
Aber hätten wir Ihnen nicht zugesagt, dass Ihre Freunde Sie beim Test begleiten dürfen, hätten Sie wohl, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, nicht Ihre Zustimmung gegeben. Allerdings ist in Anbetracht der Tatsache, dass die Tests für uns alle positiv ausgefallen sind, dieser Umstand eher als eine kleine Täuschung zu werten.«
Irene, auf der noch immer die Ereignisse der vergangenen Stunde lasten, greift tastend nach Fedors Hand, die sie sofort fest umschließt.
»Mit fast jeder Minute, die ich in Ihrem magischen Wald verbringe, steigt die Anzahl der Fragen, die mir durch den Kopf gehen. Dürfte ich vielleicht einige davon stellen, in der Hoffnung, dass sie auch beantwortet werden?«
»Aber selbstverständlich dürfen Sie Fragen stellen«, antwortet Faradin sofort. »Unter anderem, ist auch dies ein Grund für unser Zusammensein. Fühlen Sie sich unbefangen und stellen Sie Ihre Fragen frei heraus.«
Nach einem kurzen Seitenblick auf Adalbert wendet sich Irene wieder an den Zentauren Faradin.
»Unter Berücksichtigung vergangener Ereignisse möchte ich nicht zu viele Fragen auf einmal stellen. Und wenn es nicht zu viel verlangt ist, möchte ich Sie darum bitten, meine Fragen zu beantworten, auch wenn sie Ihnen vielleicht unwichtig erscheinen mögen.
Als erstes, würde mich interessieren, warum wir uns in diesem Raum treffen und nicht wieder in die Ratshalle gegangen sind, wo Sie wieder als Projektion hätten erscheinen können?«
Während Irene eine kurze Pause macht, räuspert sich der Waldmagier Gregor.
»Wir haben diesen Raum aus mehreren Gründen ausgewählt. Zum einen werden in der Ratshalle Vorbereitungen getroffen, für die wohl größte Sitzung der letzten Jahrhunderte. Zum anderen, hielten wir es für angebracht, aufgrund der Ereignisse, die Ihnen bei uns schon widerfahren sind als auch dem, was uns allen noch bevor steht, uns persönlich mit Ihnen an einen Tisch zu setzen. Nicht zuletzt aus Höflichkeit, die ohnehin einem Gast gebührt. Und abschließend haben wir diesen Raum ausgewählt, weil er durch die Magie der Riesen geschützt wird. Der Brandanschlag auf die Phönixfeder heute Nacht hat uns dazu bewogen, für unser gemeinsames Treffen den nunmehr sichersten Raum in Feenau auszuwählen.«
»Danke«, sagt jetzt Irene.
»Als nächstes würde mich dieser Test interessieren. In der Ratshalle sagten Sie, es würden mehrere davon stattfinden. Ich sehe das eher als einen, wenngleich mir auch schon gesagt wurde, es seien mehrere gewesen. Könnten Sie mir vielleicht diesen Test erklären – vielleicht von da ab als ich die Ratshalle verlassen habe?«
Jetzt tritt der Zentaur Hgal einen Schritt näher zum Tisch und stellt sich neben Faradin. Er beantwortet Irenes Frage mit einer nicht ganz so tiefen Stimme wie Faradin.
»Wenn man es genau nimmt, begann der Test schon in der Ratshalle. Ihr unmittelbares Verhalten auf unsere Bitte zu diesem Test, offenbarte uns schon Teile Ihres Charakters, die genauso zur Testauswertung gehören, wie Ihr weiteres Verhalten im Saal der Riesen. Die Bitte Ihre Freunde mitnehmen zu dürfen und die Tatsache, dass Sie dies zur Bedingung machten, waren für uns diesbezüglich wichtige Anzeichen.
Sie sehen, dies waren schon die ersten Teile des Tests. Als Sie dann vermeintlich mit Ihren Freunden den Saal der Riesen betraten, tauschten Sie die Realität gegen einen überaus starken Trugbildzauber.
Ihr ängstliches Verhalten, war nicht nur absolut normal, sondern offenbarte auch die Tatsache, dass Sie kein Mensch sind, der sich durch Überheblichkeit oder Selbstüberschätzung in Situationen bringt, in denen er, durch eben diese Eigenschaften, den Tod finden würde. Die Macht, mit der die Magie in Ihnen wirkt, trat dann für uns zum ersten Mal sichtbar zu Tage als Sie sie massiv zur Abwehr des Riesen einsetzten.
Eine überaus erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass Riesen für die Magie der Menschen eigentlich eher weniger empfänglich sind.
Ebenso erstaunlich war für uns die Tatsache, dass es Ihnen gelungen ist Fedor durch unsere Bannschranke hindurch in den Trugbildzauber zu holen. Doch erst danach offenbarte sich der letzte und auch signifikanteste Teil des Tests, der jedoch weniger im gemeinsamen Erschaffen des Käfigs lag. Viel mehr war es die Tatsache, dass es Ihnen gelang über Fedor eine Aura zu legen, mit deren Hilfe es ihm möglich war Ihre Gedanken zu teilen. Dieser ganze Test war also nichts weiter als ein Geschehen, das die Aurenmagier in früheren Zeiten tagtäglich praktizierten. Wir mussten nun lediglich eine Situation schaffen, mit der sich dieses Geschehen erzwingen ließ.«
»Vielen Dank. Soweit habe ich das verstanden«, wirft Irene ein als Hgal bei seinen Ausführungen eine kurze Pause macht.
»Was mich jetzt interessiert, würde vom Inhalt her gut in Ihr Konzept passen, da es sich wohl auch auf zukünftige Ereignisse bezieht. Woher kommen die Feleriane? Was hat es mit deren Widerstandskraft gegen die Magie auf sich? Was ist Rolands Tor?
Und nicht zuletzt, gibt es die Feleriane auch in anderen Bereichen der magischen Welt oder ist es ein lokales Phänomen, das auf den Bannwald beschränkt ist? Und – wie stellen Sie sich vor, sollte ich Ihnen helfen können?«
Irene beobachtet jetzt die Ratsmitglieder, um zu erkennen wer diesmal auf ihre Frage antworten wird.
Diese tauschen untereinander Blicke aus, bis schließlich der Zwerg Gaspard ein angedeutetes Kopfnicken zeigt und tief einatmet. Als er anfängt zu sprechen, ist seine Stimme rau und krächzend zu vernehmen.
»Um das zu erklären, werte Irene vom Bannwald, werde ich ein klein wenig ausholen müssen.
Seit jeher ist das Volk der Zwerge, in der magischen Gemeinde für die Arbeiten unter Tage zuständig. Jedoch beschränkt sich unser Tun nicht nur darauf.
Da sich die Zwerge, wie kaum eine andere Rasse, auf die Bearbeitung von Fels und Stein verstehen, gehören Massivbauten, wie dieses Rathaus, genauso wie der Tunnelbau und ein Teil des Straßenbaus zu unseren Aufgaben. Unter Tage entwickelten die Zwerge verschiedene Transporteinrichtungen, von denen Sie, wie ich gehört habe, unsere Leitern ja schon kennengelernt haben. Jedoch so schnell unsere Transportsysteme auch sein mögen, sie alle haben einen entscheidenden Nachteil. Je länger die zurückzulegende Strecke ist, desto mehr Zeit wird für den Transport benötigt. Vor eintausend Jahren, war dies noch kein Umstand, über den es sich nachzudenken lohnte. Damals gingen die Uhren eben noch anders. Schauen Sie vergleichend in Ihre Welt da draußen. Eisenbahnen, Autobahnen, Flugzeuge, schnellere Flugzeuge, schnellere Autos.
Und doch geht der Transport ihrer Güter nicht schnell genug. Als sich vor über eintausend Jahren ein Großteil der Menschen vom magischen Wald abwandte und in der offenen Fläche Siedlungsbau betrieb, wurde dadurch die magische Gemeinde stark dezimiert. Das erstaunliche daran ist, dass es ein globales Geschehen war. Bis heute wissen wir nicht, was der Auslöser dafür war. Seit dieser Zeit, wurde der Wald von den Freilandsiedlern nur noch zum Jagen, Sammeln und zum Holzeinschlag für ihre Behausungen genutzt. Schnell wurde auch der Wald dezimiert. Daraus resultierte auch für uns ein neues Problem. Große magische Gemeinden mussten sich, aufgrund der schrumpfenden Wälder, in kleinere Gruppen teilen.
Das erschwerte nicht nur den Transport von Gütern untereinander, sondern das Reisen selbst wurde mit der Zeit zu einem lebensgefährlichen Unterfangen. Als die Freilandsiedler nach mehreren Generationen ihre magischen Fähigkeiten fast komplett einbüßten, wurde ihnen bewusst was sie verloren.
Mit aller Macht strebten sie danach sich wieder das Wissen über die Magie anzueignen. Fataler Weise waren sie dem Irrglauben verfallen, dass Magie nur auf Zauberei, auf Zaubersprüchen und Zauberstäben basierte. Wandernde Hexen und Magier wurden überfallen und der Folter unterworfen. Sicher verlässt uns die Magie nicht sofort, wenn wir unseren magischen Wald verlassen, sie kann noch Tage oder gar Wochen in uns wirken. Aber irgendwann ist sie doch aufgezehrt.
Und spätestens dann waren die armen Seelen den grausamen Foltermethoden der Flachlandsiedler schutzlos ausgeliefert. Jedoch war das Wissen, das ihnen abgepresst wurde, so kostbar es auch sei, für die magielosen Wesen da draußen keine Hilfe. Irgendwann wurde ihr Hass auf alles Magische so groß, dass sie jedes magische Wesen, das ihnen in die Hände fiel, abschlachteten. Also zogen sich die magischen Gemeinden in die tieferen Regionen der Wälder zurück und erschufen über die Zeit den rein magischen Wald im Wald.
Kapitel 2: Freundschaft
»Wann hattest du vor mir das zu erklären?«, fragt Irene und schaut Fedor in seine stahlblauen Augen.
»Irene, ich hatte vor dir alles zu erklären. Aber wie oft hatten wir in den Stunden, in denen wir uns kennen, denn schon Gelegenheit, uns einfach nur unterhalten zu können? Jedes Mal, wenn es den Anschein hat als könnten wir etwas Luft holen und uns austauschen, passieren unvorhergesehene Dinge. Glaub mir bitte, ich wünsche mir ein – klärendes Gespräch mindestens genauso sehr, wie du es tust. Jedoch stelle ich meine Belange gerne hinten an. Jedes Mal, wenn du angesetzt hast um Fragen zu stellen, habe ich gehofft, dass du auch mir die eine oder andere Frage diesbezüglich stellen würdest. Aber es gab einfach zu viele andere Dinge, die nun einmal vorrangig besprochen werden mussten. Gleichwohl hat Desiderius Recht. Es ist Zeit zum Mittagessen. Dürfen Fenja und ich dich zum Mittagessen einladen?«
Noch während Fedor spricht und bevor Irene antworten kann, stehen ihre Freunde auf.
»Meine Freunde«, ergreift Adalbert das Wort. »Ich denke, zur Beantwortung von Irenes nächsten Fragen, ist unsere Anwesenheit wohl nicht unbedingt erforderlich. Wir sollten uns bis nach dem Mittagstisch trennen und uns hier wieder zur verabredeten Stunde treffen. Ich wünsche allen eine bekömmliche Mahlzeit« und an Fedor gewandt ergänzt er mit leiser Stimme »ich komme dann so gegen dreiviertel Drei bei euch vorbei, wenn es dir recht ist.«
Fedor nickt nur und ergreift noch im Aufstehen Irenes Hand. Jetzt steht auch Fenja auf und schaut fragend zu ihrem Bruder und dann zu Irene.
»Ich freue mich auf das Mittagessen mit euch. Darf ich so neugierig sein und fragen was es geben wird? Ich muss nämlich gestehen, dass ich schon ein wenig hungrig bin«, sagt Irene und schaut dabei lächelnd zu Fenja. Als weder Fedor noch Fenja sich in Bewegung setzen, zieht Irene an Fedors Hand.
»Ihr müsst schon vorangehen und mir den Weg hier raus zeigen. Ich glaube nämlich nicht, dass ich alleine aus diesem Gewirr von Sälen herausfinden werde.«
»Ich gehe dann schon mal voraus und bereite alles vor«, sagt Fenja, die noch immer fragend zu Irene schaut.
»Hätten Sie einen besonderen Wunsch bezüglich der Speisen?«, fragt sie noch, bevor sie sich zum Gehen umdreht.
»Vielen Dank Fenja, das ist sehr nett von Ihnen. Aber ich lasse mich gerne von Ihnen und der hiesigen Küche überraschen.«
Fenja lächelt Irene und Fedor noch einmal an, dreht sich um und verlässt den Saal der Riesen. Jetzt stellt sich Irene direkt vor Fedor und schaut ihm tief in die Augen.
»Kannst du dir vorstellen, was ich mir jetzt wohl am sehnlichsten Wünsche?«
»Nicht nur vorstellen«, antwortet Fedor, neigt seinen Kopf etwas zur Seite und küsst Irene lange und innig.
»Du glaubst also wirklich, das könnte etwas Ernstes werden mit den Beiden?«, fragt Wilhelm, den ihm gegenübersitzenden Adalbert.
Sie sitzen in der Ratsschenke, die sich in einer Seitenstraße unweit des Rathauses befindet. Es ist eines von vier Gasthäusern in Feenau, die sich in Ausstattung und Größe nur bedingt voneinander unterscheiden.
»Oh ja Wilhelm, ich denke, dass es mehr als wahrscheinlich ist, dass Irene und Fedor über kurz oder lang eine wahrhaft feste Beziehung eingehen werden. Ich denke auch, dass es Fedor gelingen wird, Irenes Bedenken, bezüglich der Altersfrage, auszuräumen. Auch wird er wohl wissen, dass Irenes weiteres Lebensalter von mehr abhängig ist als der Tatsache, ob sie im Bannwald lebt oder weiterhin draußen. Aber das sind Dinge, denen ich nicht vorweg greifen möchte. Ich denke, zuerst müssen die Beiden ihre Angelegenheiten klären. Sie haben wohl beide eine Menge Fragen an den Anderen, von denen zumindest einige geklärt sein müssen, damit Irene wieder aufnahmefähig an den nächsten Gesprächen teilnehmen kann.«
Wilhelm schaut Adalbert mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ich gebe ja gerne zu, dass sie ein reizvolles Wesen ist. Aber die Geschichte zwischen den Zweien, hat sich für meine Verhältnisse doch überraschend schnell entwickelt. Versteh mich nicht falsch, ich kann Fedor schon recht gut verstehen. Irgendwie hat sie sogar ein wenig Ähnlichkeit mit Fenja. Ja, wirklich eine reizvolle Frau.«
»Ach, sag bloß, das ist dir auch schon aufgefallen?«
»Das ist mir doch schon gestern aufgefallen.«
»Erst gestern? Ach so, du redest von Irene. Und ich dachte schon, du meinst Fenja«, sagt Adalbert zu Wilhelm und zeigt ihm sein breitestes Grinsen. »Was soll denn das jetzt heißen? Willst du mir damit irgendetwas Besonderes sagen?«, entgegnet Wilhelm und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Bierkrug.
»Warum sollte ich in einem Gespräch Worte benutzen, wenn ich nicht vorhätte, mit ihnen etwas auszusagen? Aber lassen wir das. Schau, Eberhard kommt mit dem Essen.«
»Na komm schon, lauf. Ich finde, wir sollten deiner Schwester ein wenig zur Hand gehen und sie das Mittagessen nicht unbedingt alleine zubereiten lassen«, sagt Irene, die Fedor an seiner Hand hinter sich her zieht. Sie hatten den Weg vom Rathaus schweigend, aber jeweils mit dem Arm hinter dem Rücken des anderen zurückgelegt. Jetzt sind sie nur noch wenige Schritte von der Haustür entfernt und Fedor signalisiert sehr deutlich, dass er jetzt lieber mit Irene alleine wäre.
»Ich glaube, ich war in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich wie gerade jetzt.«
Irene zieht Fedor durch die Haustür herein, die sie gerade geöffnet hat. Dann legt sie ihre Arme um seinen Hals, zieht ihn zu sich heran und küsst ihn leidenschaftlich. Als sie sich voneinander lösen sagt sie »Ja, ich liebe dich auch – alter Mann.«
Fedor schaut sie völlig verdutzt an. »Und dabei versuche ich die ganze Zeit die passenden Worte zu finden um dir zu erklären, dass ich, in Relation zu unserem Lebensalter, eigentlich der Jüngere von uns beiden bin.«
»Was heißt hier Relation? Du bist achtundachtzig Jahre alt und ich erst fünfunddreißig.
Die Frage, wer hier also der Ältere ist, sollte somit geklärt sein«, sagt Irene schmunzelnd und streichelt ihm mit ihrer rechten Hand sanft über die Wange. »Aber ich muss zugeben, dass du der attraktivste Greis bist, der mir je begegnet ist.«
»Ich bin kein Greis«, erwidert Fedor mit gespielter Entrüstung in der Stimme.
»Schau mal, für unsere Verhältnisse hier im Bannwald bin ich noch ein Teenager. Und genau das ist es, was mich auch ein wenig nachdenklich macht.«
»Aber wieso mach dich das nachdenklich? Es ist doch viel mehr etwas Wunderschönes.«
»Schon, aber dennoch. Du weißt jetzt, wie alt wir hier werden. Und wenn du darüber nachdenkst, wirst du sehr schnell zu dem Entschluss kommen, dass ich Recht habe. Du wirst feststellen, dass ich in der Tat noch ein Teenager bin. Und dann könntest du auf den Gedanken kommen, dass meine Gefühle für dich bloße Schwärmerei sein könnten. Dabei weiß ich sehr wohl was Liebe ist und kenne auch den Unterschied zur Schwärmerei und Liebelei. Ich habe die ganze Zeit nach den passenden Worten gesucht um es dir zu erklären, ohne dass du eben genau diesen falschen Eindruck von mir bekommst.
Auch wenn das alles eigentlich viel zu schnell passiert, möchte ich, dass du genau weißt, was ich für dich empfinde. Noch nie in meinem Leben habe ich für einen Menschen etwas Ähnliches empfunden. Und um ehrlich zu sein, habe ich das, was ich für dich empfinde, wohl noch nie gefühlt.
Aber ich möchte dich mit meinen Gefühlen nicht überfallen. Es ist wichtig, dass du zuerst deine eigenen entdeckst, bevor ich mich dir noch weiter offenbare.«
»Und du willst mir erzählen, dass du noch ein Teenager bist? Dabei sprichst du über Gefühle und die Liebe, wie ein weiser Mann, der schon all das erlebt hat.«
Der Bannwald – Neue Drachen:
Kapitel 1: Der rote Käfig
Kapitel 2: Phönixzauber
Kapitel 1: Der rote Käfig
An ihrem dritten Morgen im Bannwald erwacht Irene in Fedors Schlafzimmer. Als sie ihren Kopf nach links zum Fenster wendet und die Sonne auf ihren Liedern spürt, reibt sie sich noch etwas verschlafen die Augen. Dann streckt sie ihren rechten Arm aus, um Fedor zu berühren, greift jedoch ins Leere. Sie dreht den Kopf zur rechten Seite und blickt enttäuscht auf das leere Bett. Doch nur kurz überlegt Irene, bevor sie die Decke zurück schlägt, sich aufsetzt und gleichzeitig mit leichtem Schwung ihre Beine über die Bettkante baumeln lässt.
Sie schaut an sich herunter und betrachtet, wie schon am Abend zuvor, das zarte und fein gearbeitete Nachthemd, das ihr Fenja gestern noch mit Hilfe der Magie erschaffen hatte. Es ist ein weißes Nachthemd, das mit den rotbraunen Farben der Heilmagier durchwoben ist. Fedor ließ es sich einfach nicht nehmen, noch einige Schutzzauber auf ihr Nachtgewand zu legen, bevor sie zu Bett gingen.
Fedor …
Irenes Gedanken kreisen um die überaus angenehmen Ereignisse der letzten Nacht. Für sie ist Fedor mehr, als nur ein außergewöhnlicher Mann. Irene fragt sich, ob seine Qualitäten oder Fähigkeiten, die eigentlich in den normalen, zwischenmenschlichen Bereich gehören, auch von der Magie beeinflusst werden. Nach dieser Nacht wird sie nicht anders können, als ihn darauf anzusprechen. Noch während sie langsam aufsteht und sich ihre Kleidung holt, beschließt sie, dieses Vorhaben im passenden Moment umzusetzen.
Gerade als sie zur Tür geht, um sich ins Bad zu begeben, klopft es. Kaum hat Irene »herein« gesagt, steht auch schon Fenja vor ihr.
»Guten Morgen Irene. Ich hoffe du hattest eine angenehme Nacht und konntest dich von dem gestrigen Tag ein wenig erholen.«
»Guten Morgen Fenja«, erwidert Irene mit einem deutlich sichtbaren Grinsen.
»Danke der Nachfrage. Ich hatte eine wirklich angenehme Nacht. Und ja, ich konnte mich in der Tat noch ein wenig erholen. Aber könntest du mir sagen wo Fedor ist? Ich habe gar nicht mitbekommen wann er aufgestanden ist.«
»Fedor ist schon mit Adalbert unterwegs. Er kam vor Sonnenaufgang hier an und hat Fedor wohl durch seinen Annäherungszauber geweckt. Aber alles Weitere würde ich dir gerne beim Frühstück erzählen. Ich habe dir Handtücher und frische Kleidung ins Bad gelegt. Wenn du fertig bist werden wir frühstücken und ich werde dich über den weiteren Verlauf der gestrigen Geschehnisse unterrichten. Ich vermute, dass Fedor bald zurückkommen wird, um dich abzuholen. Ich bereite derweil das Frühstück vor und warte unten auf dich.«
Ohne eine weitere Reaktion der gerade neugierig gewordenen Irene abzuwarten, dreht sich Fenja um, geht den kurzen Flur entlang und ist gleich danach am Ende der Treppe verschwunden. Kurz darauf steht Irene kopfschüttelnd unter der Dusche, die nicht ganz so ausgiebig ausfällt, wie sie es eigentlich vorhatte.
Als sie nur wenige Minuten später am Frühstückstisch erscheint, steht schon eine dampfende Schale Fruchtmilch auf ihrem Platz. Auf zwei großen Tellern in der Mitte des Tisches sind mehrere verschiedenartig belegte Brote angerichtet, die sowohl mit Honig und Marmelade, wie auch mit Wurst und Käse belegt sind. Doch noch bevor Irene ihre erste Frage stellen kann, hebt Fenja ihre Schale Fruchtmilch hoch und prostet Irene zu.
»Lass uns erstmal einen kräftigen Schluck nehmen, bevor sie vielleicht noch im Verlauf des Gesprächs kalt wird.«
Beide genießen einige Schlucke dieser köstlichen, warmen und fruchtig schmeckenden Milch, bevor Irene, die Fenja die ganze Zeit fragend anschaut, ihre erste Frage stellt.
»Also, mich würde schon sehr interessieren, was gestern noch alles geschehen ist, nachdem ich – das Bewusstsein verloren hatte. Fedor hat gestern Abend nur Andeutungen gemacht und ich … naja. Wir haben dann nicht mehr darüber gesprochen.«
Fenja zeigt Irene ein überaus breites Grinsen, bevor sie mit ihren Erklärungen beginnt.
»Die Tatsache, dass du dein Bewusstsein verloren hast, schreibt man dem Umstand zu, dass du eine so große Zahl an magiebegabten Wesen unter einer Aura zu vereinigen hattest. Doch scheinst du tatsächlich jeden einzelnen damit erreicht zu haben, denn von keinem Mitglied war zu vernehmen, dass er deine Aura nicht gespürt hätte. Du hast erneut einen wahrhaft großen Zauber gewirkt, an dessen Gelingen wohl nur sehr wenige Mitglieder unserer magischen Gemeinde wirklich geglaubt haben. Erneut ist dir hier, mit Hilfe der Waldmagie, das bisher Unmögliche gelungen. Um es mit Wilhelms Worten zu sagen, rangierst du jetzt auf der Bestenliste der Magier auf Platz eins.«
Irene schaut jetzt Fenja mit ungläubigem Blick an und verbirgt dann für kurze Zeit ihr Gesicht in den Handflächen. Als sie ihren Kopf hebt und Fenja anschaut, ist ihr eine sanfte Röte ins Gesicht gestiegen.
»Irgendwie habe ich so etwas kommen sehen. Aber ich versuche mich mit dem Gedanken zu trösten, dass ich noch viel zu viel über die Magie zu lernen habe, als dass ich wirklich schon einen Titel oder gar eine derartige Achtung oder Ehrung verdient hätte. Ich werde mich wohl beim Katalogisieren der Wächterbäume nützlich machen und hoffe mal, dass ich so ein wenig aus der Schusslinie der Öffentlichkeit komme. Aber erzähle doch bitte weiter Fenja. Was ist danach geschehen? Und was hat der Rat jetzt vor und wie wird er jetzt reagierten? Gibt es schon einen Termin für eine neue Sitzung? Und was wird jetzt als Nächstes unternommen?«
»Nimm dir doch bitte etwas zu essen«, erwidert Fenja und schiebt mit einem Schmunzeln die beiden Teller ein Stück näher an Irene.
»Währenddessen werde ich versuchen, dir die Ereignisse der vergangenen Nacht zu schildern. Wie schon erwähnt, ist es gelungen, Rolands Tor zu schließen. Der Flammenzauber fiel so stark aus, dass dabei ein beträchtlicher Teil der ganzen Felsformation geschmolzen ist.
Eine ganze Menge unserer gelehrten Magier haben die ganze Nacht damit verbracht, den neuen Verschluss des Tores, sofern es noch existiert, zu untersuchen. Soweit diese Magier bisher feststellen konnten, ist dieser von so starker Magie, dass sie sich nicht vorstellen können, dass er jemals gebrochen werden kann.
Gleich nach dem erfolgreichen Verschließen hat der Rat mit den anderen Dörfern Kontakt aufgenommen und ließ im gesamten Bannwald nach eventuell verbliebenen Felerianen suchen. Aus allen Gemeinden wurden Kundschafter ausgesandt, um nach ihnen auf die Suche zu gehen. Wenngleich auch jetzt noch ständig Meldungen eintreffen, so geht man doch davon aus, dass tatsächlich nicht ein Felerian überlebt hat.
Allerdings sind einige Magier in der Nähe des Nistplatzes auf starke Spuren sehr alter Magie gestoßen. Deswegen kam Adalbert heute Morgen vorbei und hat Fedor abgeholt. Sie sind beim Rat, wo gerade darüber gesprochen wird, wer zu weiteren Untersuchungen dorthin geschickt wird. Ich vermute sehr stark, dass Adalbert und Fedor dazugehören werden. Und wenn ich deinen Blick gerade richtig deute, wirst du es dir wohl nicht nehmen lassen, Fedor zu begleiten.«
»Aber auf keinen Fall lasse ich mir das nehmen. Wenn Fedor irgendwo hingeht, möchte ich natürlich dabei sein. Zum einen interessiert mich dieser Nistplatz sehr und zum anderen ist es eine willkommene Gelegenheit, um aus dem Blickfeld der Leute zu gelangen. Wenngleich ich auch sagen muss, dass ich irgendwie das ungute Gefühl habe, mit dieser Aktion mal wieder ins Fettnäpfchen zu treten.«
Fenja grinst Irene an und nimmt sich, wie auch ihr Gegenüber, ein Dunkelbrot mit Bratwurst vom Teller. Doch noch bevor die beiden die Hälfte ihrer Mahlzeit verzehrt haben, öffnet sich die Haustür und Fedor betritt, gefolgt von Adalbert das Zimmer. Irene legt ihr belegtes Brot ab und spült den letzten Bissen mit einem kräftigen Schluck Fruchtmilch hinunter.
»Bei euch stiehlt man sich also ohne ein erklärendes Wort aus dem Bett und verlässt das Haus!«, sagt Irene mit sehr ironischem Unterton zu dem jetzt näher kommenden Fedor.
»Eigentlich hatte ich ja gehofft, heute Morgen neben dir aufzuwachen. Aber stattdessen muss mich die Sonne wach küssen und mein Arm, der dich gesucht hat, greift ins Leere. Ich weiß nicht ob du das jemals wieder gutmachen kannst«, fügt sie noch hinzu und schaut ihm mit einem schelmischen Grinsen in die Augen.
Bevor Fedor mit hochgezogenen Augenbrauen Irene umarmt, die wortlos einen »jetzt hast du’s dir verdorben« Blick zeigt, schaut er ihr in die Augen. Sein Blick hat nichts von einem schuldbewussten Teenager, der glauben muss einen Fehler gemacht zu haben. Noch bevor er Irene küsst, schließt er seine Augen und lässt einige Bilder der gemeinsam verbrachten Nacht in sich aufsteigen. Augenblicklich wird der Kuss intensiver und inniger.
Erst das Räuspern Adalberts kann sie aus ihrer gemeinsamen Erinnerung reißen.
»Ich unterbreche euren Austausch von Zärtlichkeiten ja nur sehr ungern«, setzt Adalbert an, »aber wir hätten da noch eine Kleinigkeit zu erledigen, bevor wir uns am Nachmittag wieder mit dem Rat treffen wollen. Gereon, Wilhelm, Fedor und ich wollen uns gleich auf dem Marktplatz treffen, um gemeinsam den letzten Nistplatz der Feleriane aufzusuchen. Theobald wartet dort schon auf uns, um uns die Stelle zu zeigen, an der sie eine etwas außergewöhnliche Form von Magie entdeckt haben.«
»Ach«, wirft jetzt Irene etwas gereizt ein, »und da geht man noch mal kurz zuhause bei den Damen vorbei und sagt ihnen Bescheid, dass sie mit dem Essen nicht warten sollen, weil es ja etwas später werden könnte.«
»Das hätten wir auch über den Spiegel tun können«, entgegnet Fedor, noch bevor Irene für ihren nächsten Satz Luft holen kann.
»Eigentlich sind wir gekommen, um euch beide zu fragen, ob ihr uns begleiten wollt. Ihr müsstet nur eure Schutzanzüge anziehen, während ich etwas Reiseproviant zusammenpacke.
Aber wenn ihr lieber zuhause bleiben wollt und das Essen vorbereiten …«, setzt Fedor mit einer hochgezogenen Augenbraue und dem Zucken beider Schultern nach.
»Das könnte euch so passen«, erwiderte Irene sofort. »Die Herren ziehen zu weiteren Abenteuern in die Welt hinaus und die Damen bleiben als Heimchen am Herd. Sorry mein Schatz, aber ich glaube nicht, dass das so laufen könnte.«
»Ich liebe es Irene«, erwidert Fedor darauf mit sanfter Stimme, »wenn du so herzlich energisch versuchst mir einen Standpunkt zu erklären, der eigentlich doch auch der meine ist.«
»Bevor jetzt noch weitere Spielereien beim Ausfechten unterschiedlicher Meinungen entstehen«, wirft jetzt Adalbert ein, »wird es langsam Zeit, dass wir aufbrechen. Wilhelm und Gereon werden schon am Marktplatz auf uns warten.«
»Dann wollen wir die Herren doch nicht warten lassen und werfen uns mal in unser reizvolles Blaues«, sagt Irene mit einem schmunzelnden Seitenblick zu Fenja.
Kapitel 2: Phönixzauber
»Das sollte als Antwort wohl ausreichen«, sagt Adalbert, der sich überlegend am Kopf kratzt.
»Er muss vorausgesehen haben, dass wir diesen Weg als erstes ausprobieren würden. Mit Gereons Magieeinwirkung auf das Netz durch den Tunnelbau, haben wir vermutlich eine Veränderung in den Eigenschaften und der Wirkungsweise des Netzes bewirkt. Da sich der Boden nun auch langsam unter unseren Füßen dezimiert, werden wir wohl etwas weniger Zeit haben, um einen Ausweg zu finden. Hat jemand mit seinem Zauber etwas über das Netz herausfinden können?«
Als Fenja, Fedor und Wilhelm nur mit den Köpfen schütteln, macht Adalbert ein ernstes Gesicht. Fenja jedoch greift geistesgegenwärtig an ihre Brusttasche und zieht ihren kleinen Spiegel heraus.
»Vielleicht hat ja jemand vom Rat eine Idee?«, sagt sie und drückt gleichzeitig die Perle auf dem Spiegelrand, die einen Sammelanruf an alle Ratsmitglieder auslöst. Sofort vibrieren Adalberts, Fedors und überraschend auch Irenes, Wilhelms und Gereons Spiegel. Fenja sieht auf ihrem Spiegel die Perle aufleuchten, die anzeigt, dass alle Ratsmitglieder ihren Spiegel in Funktion versetzt haben.
Doch als in ihrem Spiegel nur abwechselnd die Gesichter ihrer anwesenden Freunde zu sehen sind, schaut sie erstaunt zu Adalbert. Sie schließt den Sammelanruf wieder und versucht es erneut.
Als auch Adalbert und Fedor erfolglos versuchen, jemanden außerhalb des Käfigs anzurufen, stecken alle nacheinander enttäuscht ihre Spiegel wieder ein.
»Dieser Käfig scheint mehr zu können, als Bäume und Steine zu zerschneiden«, kommentiert Adalbert die erfolglosen Versuche.
»Da wir auf uns allein gestellt sind, werden wir wohl oder übel dazu übergehen müssen, mit aktiven Zaubern unser Glück zu versuchen. Fedor, ich möchte, dass alle Schutzanzüge in Angriffsmodus versetzt werden. Und ich möchte, dass ihr einen Schutzzauber wirkt, der uns vor eventuell abprallenden Zaubern schützt. Ich beginne damit, einen Auflösezauber zu wirken.«
Jedoch nach weiteren, kostbaren Minuten, ist keine Besserung ihrer Lage in Sicht.
Keiner der Zauber, die Adalbert ausprobiert, zeigt eine Wirkung auf das rot leuchtende Netz aus zerschneidenden Fäden uralter Magie. Als der gitterartige Käfig nur noch einen Durchmesser von vier Metern hat und der Boden unter ihnen mindestens einen Meter tiefer, als der umliegende Waldboden ist, meldet sich Irene zu Wort.
»Ich möchte euch ja nicht kritisieren, aber vielleicht geht ihr die ganze Zeit mit falschen Zaubern zu Werke. Bevor wir auch in Würfel geschnitten werden, möchte ich gerne einen Vorschlag machen.«
»Was auch immer du zu sagen wünschst, du siehst, dass wir mit unserem Latein in der Tat am Ende zu sein scheinen«, sagt Adalbert. »Sag uns bitte, was dir durch den Kopf geht, bevor ich die letzten möglichen Zauber ausprobiere.«
»Vielleicht hilft uns ja das Gleiche, das uns bedroht«, antwortet Irene sofort.
»Fedor und ich haben doch gestern einen Käfig aus Magie erschaffen, der uns sogar vor den Felerianen schützen konnte. Wäre es nicht möglich, dass er uns auch vor diesem roten Käfig beschützen kann? Zudem konnte der Käfig auch andere magische Strukturen durchdringen.«
»Dein Vorschlag entbehrt nicht einer gewissen Logik. Wenngleich er auch für magische Verhältnisse eher unkonservativ ist,« sagt Adalbert. »Lasst es uns versuchen,« setzt er noch hinzu und hebt seinen Zauberstab etwas in die Höhe.
Augenblicklich schließt Irene ihre Augen und lässt einige Bilder in ihrem Kopf entstehen, die einen hellgrünen Käfig zeigen, der sich mit starken Gittern fast organisch bewegt. Als sie einen Reim formuliert, können ihre Freunde sofort mit ihr singen.
»Es darf uns hier kein Leid geschehen,
drum soll um uns ein Käfig stehen.
Er sei unser Schutz vor roter Magie,
er halte sie auf und zerstöre sie.
Es darf uns hier kein Leid geschehen,
drum soll um uns ein Käfig stehen.
Er sei unser Schutz vor roter Magie,
er halte sie auf und zerstöre sie.«
Als Irene nach ungefähr zweiminütigem Magiegesang ein Knistern hört, öffnet sie wieder ihre Augen. Der Gesang geht in ein Murmeln über und erstirbt schließlich ganz.
Um die Freunde ist ein hellgrüner Käfig entstanden, der in seinen Ausmaßen an einigen Stellen mit dem roten Gitternetz in Kontakt kommt.
Allerdings ist er in seiner Form bei Weitem nicht so gleichmäßig und eben, wie der Käfig aus roter Magie. Allerdings scheint er Teile seiner Magie auf die Stellen zu konzentrieren, mit denen er den roten berührt. Dort kommt es zu grünem, wie auch rotem Funkenregen, der jedoch nicht nach unten auf die Freunde fällt, sondern wie von einem unsichtbaren Wind nach außen geblasen wird.
Das Knistern wird immer lauter und auch der Funkenregen nimmt an Intensität weiter zu. Der grüne Käfig wird an seinen äußersten Enden von den roten Fäden des Gitternetzes, mit lautem Krachen durchschnitten.
Doch fast so, als würde er leben, zieht er sich ruckartig ein Stück zusammen und verschließt die verletzten Stellen sofort wieder. Der ganze Käfig beginnt nun zu pulsieren und verstärkt die beschädigten Teile, bis die grünen Fäden mehr als doppelt so dick sind, wie die roten Netzfasern.
Nun beginnt der grüne Magiekäfig sich erneut auszudehnen. Sofort setzt der Funkenregen wieder ein, der nun noch heftiger nach außen geblasen wird. Das Knistern wird zu einem lauten Knacken.
Und als der grüne Käfig schließlich die ersten roten Fäden zum Zerreißen bringt, wird die Luft von einem ohrenbetäubenden Knall erschüttert. Beide Käfige haben sich zu einem Netz verschmolzen, wobei nur die grünen Linien von Leben erfüllt zu sein scheinen. Dort, wo sie von den roten Fäden zerschnitten werden, wachsen stärkere Fäden nach und umwickeln die roten Linien. Mehrere Minuten dauert dieses beeindruckende Schauspiel eines Kampfes der verschiedenen Magieformen.
Als letztlich alle roten Linien von den Fäden grüner Magie umwoben sind, erstrahlt der grüne Käfig in heller Glut.
Das Knacken und Knistern hat aufgehört und auch die pulsierenden Bewegungen des grünen Käfigs sind zum Stillstand gekommen. Es herrscht völlige Stille.
So als würde er das Kommende ahnen, breitet Adalbert schnell seinen schützenden Umhang über seine, auf dem Boden kauernden Freunden aus. Er berührt den Umhang mit seinem Zauberstab und lässt ihn so noch um einige Zentimeter wachsen, damit er bis zum Boden reicht.
Als wäre dies das verabredete Zeichen, lösen sich die beiden magischen Konstrukte in einer gewaltigen Explosion auf.
Diesmal prasselt der Funkenregen auch auf unsere Freunde herab und selbst Adalberts Mantel, der von den stärksten Schutzzaubern durchwoben ist, kann nicht verhindern, dass ihn einige Teile durchdringen.
Noch während der Explosionsknall verhallt, sind die Schmerzensschreie der Freunde zu hören. Adalbert bricht nach mehreren Treffern der roten Netzteile bewusstlos zusammen und zieht dabei seinen Mantel mit sich zur Seite. Fenja liegt ebenfalls stark blutend und bewusstlos auf dem Boden.
Wilhelm liegt über sie gebeugt und blutet stark aus einer Wunde an seiner rechten Schulter.
Er ist, wie auch Gereon, ohne Bewusstsein. Nur Fedor ist noch in ansprechbarem Zustand, denn auch Irene ist nach den Treffern von roten Netzteilen schwer verwundet ohnmächtig geworden. Fedor richtet sich vorsichtig auf und schiebt dabei Gereon von sich weg, der neben ihm zusammen gesackt war. Er zieht den bewusstlosen Wilhelm von seiner Schwester und betrachtet reihum die Wunden seiner Freunde.
Geschichten aus dem havana – Band 1:
café bar havana
Nikki und Phil
Heiße Schokolade
Liebes-Spiel
Verlust
café bar havana
Das, am 26.02.96 eröffnete havana ist eine Café Bar und liegt in der Hospitalstraße, fast im Herzen von Alzey. Sein Ambiente ist stilvoll und doch gleichermaßen facettenreich, wie die Vielzahl seiner Besucher. Zu denen gehören Teenager genauso, wie auch die reiferen Altersgruppen der Alzeyer und seiner weiteren Umgebung.
Wer das ca. 125 m² große havana zwischen 9.00 und 1.00 Uhr (WE bis 2.00 Uhr) durch den Haupteingang betritt, begibt sich nach links an der Garderobe vorbei und steht nach wenigen Schritten, vor der im Viertelkreis angeordneten ersten Anlaufstelle des havana, der Bar mit ihren acht Barhockern. Nicht nur durch ihre halbhohen Rückenlehnen laden die weich gepolsterten Barhocker zum zeitlosen Verweilen ein.
Das ausnahmslos freundliche und jugendliche Personal begrüßt seine Gäste mit einem Lächeln auf den Lippen oder einem Handgruß, je nach Bekanntheitsgrad des Besuchers.
Die dreiundzwanzig massiven Holztische, sowie die gepolsterten Bänke und Stühle erwecken den Eindruck, die beiden Räume genauso zu bewohnen, wie die immer zahlreichen Gäste, an deren Gesichter man leicht ablesen kann, dass sich hier ausnahmslos alle wohlfühlen.
Was einem neuen Gast wohl als Erstes auffallen wird, ist der große, gerahmte Spiegel, welcher für sich auf der rechten Seite einen beachtlichen Teil der Wand beansprucht. Überdies spiegelt er sich selbst in der Decke, was ihn zu einem besonderen Blickfang macht. Rechts von der Bar führt eine Tür zu den sauberen Toiletten, wo sich sogar ein, in der heutigen Zeit sinnvoller Weise angebrachter, Kondomautomat befindet. Zumindest auf der Herrentoilette, welche die von mir benutzte ist.
Links von der Bar geht es unter einem Durchgang, der von einem Stahlträger und Pfosten gestützt wird, in den zweiten, ca. fünfundvierzig m² großen Raum. Auch hier sind die Tische vorwiegend als Zweier- oder Dreiergruppen arrangiert.
Die linke Außenwand ist mit einer durchgehend gepolsterten Holzbank versehen, welche es ermöglicht durch Zusammenstellen der Tische auch für größere Gruppen eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
An der Wand gegenüber befindet sich, neben einer weiteren Zweier- und zwei Dreiergruppen, der Stolz eines der Besitzer.
Es ist das übergroße Plakat eines Wonderbra- Models, Adriana Karembeu, einer blonden, strahlenden und nur mäßig bekleideten Schönheit, die besagtes Ausstellungsstück bei einem » Treffen « in England, zur Freude seines jetzigen Besitzers signierte.
» To Michael with lots of Love «
Interessierten Gästen erzählt Michael, der zusammen mit Sascha das havana betreibt, vielleicht auch ab und zu die wahre Geschichte dieses schön anzuschauenden Blickfanges. Neben dem Plakat steht eine fast raumhohe, künstliche Palme. Sitzplätze für die romantischen Verabredungen der Jugend oder der jung gebliebenen Gäste.
Links am Ende dieser so geschmückten Wand, befindet sich neben einer Tür zu diversen Lagerräumen, der für eine Café- Bar unentbehrliche Zigarettenautomat. Ich möchte nicht behaupten, dass die überwiegende Anzahl der Gäste diesen auch nutzt, aber zumindest wird es einem Raucher hier nicht angelastet, wenn er zu seinem Cappuccino oder Whiskey, diesem Laster frönt.
Von jeder Stelle dieser, wohl nicht nur für mich so angenehmen Lokalität, hat man einen Blick auf und durch die, mit Schriftzügen versehene, Glasfront der Vorderseite des havana. Hier haben Vorbeigehende die » einsichtige « Möglichkeit nach einem, der nicht immer freien, fast neunzig Sitzplätzen Ausschau zu halten, bevor sie das havana betreten. In den warmen Monaten finden Besucher auch auf der Terrasse an siebzehn Tischen einen von über fünfzig Sitzplätzen.Nicht wenige sind es, die man an einem Abend mehrfach vorbeigehen sieht, bis sie, einen freien Platz erspähend, das havana betreten.
Innen vor der Glasfront des Nebenraumes hängen zwei große, runde Kugellampen von der Decke. Sie erhellen mit ihrem weichen und gedämpften Licht den Raum gerade soweit, dass Vorbeigehende auch Bekannte im Inneren erkennen können.
Über der Bank befinden sich, in einer teilweise abgehängten Decke, zahlreiche kleine Halogenlampen, welche mit ihrem angenehmen Licht für die restliche Beleuchtung sorgen.
Die nicht zu zahlreich, aber gut platzierten Bilder über der Bank, bieten nicht nur den Verlegenen die Möglichkeit diese, durch Wegsehen, zu bewundern.
Kleine Kerzen in niedrigen Glasschalen auf jedem Tisch, runden neben den Lichtverhältnissen, auch die Atmosphäre ab.
Auf seine Art ist selbst das, an der Decke hängende Abluftrohr aus Edelstahl, mit seinen Lüftungsgittern und dem darüber befindlichen Kabelkanal ein Blickfang. Obwohl es nicht der schönste Anblick ist, gehört es doch genauso zum havana wie die Schönheit und der Spiegel.
Ich denke nicht, dass es je einen Gast gestört hätte, geht man doch ins havana um sich in angenehmer Gesellschaft zu unterhalten, die Menschen zu beobachten, Kontakte zu knüpfen, mit einer der hübschen Kellnerinnen zu flirten oder den Blickkontakt mit dem einen oder anderen Gast zu suchen.
Auch die Musik ist zu erwähnen, die laut genug ist um Gespräche an den Nebentischen nicht als störend zu empfinden.
Andererseits ist sie auch leise genug, um selbst ein Gespräch mit seinem Tischpartner führen zu können, ohne dabei laut reden zu müssen.
Alles in allem herrscht hier eine angenehme und ansprechende Atmosphäre, eben ein Ambiente, in dem man sich so ungezwungen geben kann, wie man ist. Denn nicht auf besonderen, gehobenen Kleiderzwang achten zu müssen erhöht das Wohlbefinden.
Das havana ist ein Ort zum Wohlfühlen, was wohl auch die im steten Wandel besetzten Tische beweisen sollten. Doch ist das havana mehr als man auf den ersten Blick wahrzunehmen glaubt.
Es ist wie ein kleines, geheimes Universum mit eigenen Regeln und Gesetzen. Wenn ich durch die Tür gehe, fallen Stress und Ärger von mir ab und ich betrete einen Ort voller bezaubernder Magie. Hier gibt es keine Gewalt und keinen Streit, nur ein harmonisches Miteinander.
Es ist ein Ort schicksalhafter, menschlicher Poesie, angefüllt mit den unterschiedlichsten Ereignissen der Vergangenheit und Gegenwart, die so verschieden und facettenreich sind wie seine Gäste, mit all ihren Gedanken, Gefühlen und Erwartungen.
*
Nikki und Phil
Nikkis Bild zeigt eine junge hübsche Frau, sehr schlank, mit über schulterlangem und glänzend schwarzem Haar, das von roten Strähnen durchzogen ist. Sie trägt eng anliegende helle Jeans, die ihre wohlgeformten Beine nicht vor Phils sehnsuchtsvollen Blicken verbergen können. Ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck » Made by Nature «, das noch enger an ihrem Körper liegt als die Jeans, betont nicht nur ihre schmale Taille. Die sinnliche Art, wie sie neben ihrem PC an der Schrankwand lehnt, lässt den einzigen Makel des Bildes zu einem kaum beachtenswerten Fehler schrumpfen. Die roten Pupillen.
» Nein du Spaßvogel, ich hab blaugrüne Augen «, schreibt Nikki zurück, als Phil, nach Erhalt des Bildes sich die Bemerkung, » wau, du hast ja rote Augen « nicht verkneifen kann.
Phils Foto zeigt ihn mit einem Freund beim Einrichten seiner Wohnung, was das Chaos im Hintergrund vermuten lässt. Er kommentiert es mit den Worten: » Ich bin der besser Aussehende von den Beiden, also der Rechte … sorry, habe leider kein Besseres finden können. « Auf dem Bild trägt er eine hellblaue Latzhose aber kein T-Shirt oder Hemd, was durch den leicht glänzenden Oberkörper auf eine schweißtreibende Tätigkeit schließen lässt. Die Träger seiner Latzhose verdecken neben seiner linken Brustwarze nur einen Teil seiner, nicht übermäßigen aber doch gut zu erkennenden Brustbehaarung. Der Kurzhaarschnitt seiner dunkelbraunen Haare und der Dreitagebart machen ihn, mit seinem offenen Lächeln und dem sichtbar muskulösen Oberkörper, zu einem durchaus attraktiven Mann. So profan es auch klingen mag, aber es scheint ein glücklicher Zufall zu sein, dass beide das Konterfei ihres Chatpartners mehr als nur ansprechend finden. Beim Blick auf Nikkis Foto war Phils überraschter Gesichtsausdruck und sein geflüstertes » waaau, was für ein Mädchen « eigentlich auch keine wirklich überraschende Reaktion.
Wenn sie, wie an den letzten Abenden immer öfter telefonieren, starrt Phil nur auf seinen Bildschirm, während er Nikkis warmer und melodischer Stimme lauscht. Er hat das Bild sofort zum Hintergrund seines Desktops gemacht, als er es mit Nikkis Mail erhält.
» Hab ich auch schon gemacht « gibt Nikki ohne Zögern zu, als Phil ihr bei ihrem ersten Telefonat davon erzählt. Recht offen und mit jedem Telefonat vertrauter werdend, reden sie über all die kleinen Details, die man an einem Foto nur ausfindig machen kann, wenn man es für längere Zeit vor Augen hat. Wenn man sich über jede noch so kleine Entdeckung freut, mit der man das Gespräch noch einige Minuten hinausziehen kann. Bis man sich dann gegenseitig eine gute Nacht und angenehme Träume wünscht. Doch bevor man diese, für beide anregenden Gespräche beendet, nutzen beide jede Gelegenheit diesen Punkt so lange als möglich aufzuschieben.
*
Heiße Schokolade
Marco sitzt mit dem Rücken zum Spiegel am Ecktisch vor dem Fenster, genau gegenüber der Eingangstür des havana. So kann er nicht nur die ankommenden Gäste im Auge behalten, sondern auch die Straße vor dem havana überblicken. Er sieht Daniela sofort, als sie vor dem Fenster neben ihm, auf dem Gehweg auftaucht.
Als sie die Fensterfront des havana erreicht, verlangsamt sie ihren Schritt. Sie schaut durch die großen Fenster ins Innere, der noch nicht voll besetzten café bar. Schon begegnet sie Marcos Blick, der sie charmant lächelnd ansieht. Sie lächelt freudig zurück, winkt kurz und betritt nach wenigen Schritten das havana.
Als sie auf seinen Tisch zukommt, steht Marco auf und streckt ihr mit einem freundlichen » Hallo Daniela «, die Hand entgegen.
» Hallo Marco «, erwidert sie, während sie die angenehme Wärme seiner Hand spürt. Nachdem sie den Reißverschluss geöffnet hat, hilft Marco ihr galant aus ihrer weißen Daunenjacke. Mit einem Lächeln bedankt sich Daniela und lässt ihn die Jacke zur Garderobe bringen.
» Ich freue mich, dass du gekommen bist «, sagt Marco, der jetzt wieder gegenüber von Daniela Platz genommen hat.
» Was darf ich euch bringen? « Soraya ist in ihrem ärmellosen Top und der blauen havanaschürze neben ihnen aufgetaucht.
» Cappuccino? «, fragt Marco und schaut Daniela an.
» Ja, gern. «
» Zwei Cappuccino bitte «, gibt Marco an Soraya gewandt seine Bestellung auf.
» Mit Sahne? «, fragt Soraya noch, bevor sie sich zum Gehen wendet. Daniela und Marco schauen sich an und nicken beide.
» Jawohl, mit Sahne «, antwortet Marco und schon sind sie wieder alleine. Er sitzt etwas unschlüssig da und weiß nicht so recht, wie er das Gespräch beginnen soll. Sie haben sich lange nicht gesehen und wenn er überlegt, weiß er gar nicht so viel über sie. Eben das, was man im Tanzkurs und den wenigen Treffen danach so erfährt.
» Gehst du oft alleine ins Kino? «, fragt Daniela und bricht damit das peinliche Schweigen.
» Eigentlich nicht «, antwortet Marco. » Ich war mit einem Freund verabredet in Kreuznach, allerdings hat er abgesagt, als ich schon unterwegs war. Da bin ich eben alleine in den Film. Er lief die letzten beiden Tage und hat mich schon interessiert. Und ihr hattet wohl so was wie einen Frauenabend? «
Daniela schmunzelt bei dieser Frage. » So kann man es auch nennen «, grinst sie zu Marco. » Wir treffen uns ziemlich regelmäßig und ab und an gehen wir auch mal ins Kino. Nadine seh` ich ziemlich oft. Sie arbeitet noch in der gleichen Firma wie ich. Katja und Carola haben vor einem Jahr die Firma gewechselt. Na ja, bei uns wurden Einsparungen gemacht und die Beiden gehörten zu denen, die gehen mussten. Zum Glück haben sie schnell was Neues gefunden. Allerdings sehen wir uns seither eben etwas seltener. «
» Du hast dich seit damals fast nicht verändert. Nur deine Haare sind etwas länger, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. « Marco hat Daniela die ganze Zeit angeschaut, während sie erzählte. Er ist von dem kleinen Muttermal über ihrer Oberlippe noch immer so fasziniert, wie er es schon damals im Tanzkurs war. Und auch, die jetzt längeren Haare, die ihr in abgestuftem Schnitt über die Schultern hängen, sind ihm ein schöner Blickfang.
» Vielen Dank, ich nehme das einfach mal als Kompliment «, lächelt ihn Daniela an.
Marco schaut ihr in die Augen. » Genauso war es auch gedacht. «
» Zwei Cappuccino mit Sahne. « Soraya ist wieder an ihren Tisch gekommen und stellt beiden eine Tasse hin. Mit einem Lächeln ist sie auch schon wieder zu einem anderen Tisch unterwegs.
*
Liebes-Spiel
Natascha sitzt schon fünf Minuten im havana, als Björn in den Nebenraum tritt. Er schaut sich um und entdeckt sie am letzten Tisch in der hintersten Ecke. Sie hat diesen Platz mit Absicht gewählt. Er schien ideal für ihr Vorhaben zu sein. Sie hebt ihre Hand und winkt ihm zu. Björn winkt zurück und schreitet langsam auf sie zu. Er grüßt noch einen Bekannten, der einige Tische weiter vorne mit einer hübschen Frau sitzt, die Björn nicht kennt. Bei Natascha angekommen, zieht er seine schwarze Lederjacke aus und hängt sie sorgfältig über die Stuhllehne.
» Hallo Natascha «, sagt er, und nimmt gegenüber von ihr Platz.
» Hallo Björn, schön dich zu sehen «, sagt Natascha und lächelt ihn an.
» Ja, ich freue mich auch. War ja leider ein recht kurzes Vergnügen bei Rolfs Geburtstag. Umso mehr hat es mich gefreut, dass du zu meiner Einladung nicht nein gesagt hast. Aber ich musste dich einfach wieder sehen. «
Björn setzt sein charmantestes Lächeln auf und schaut ihr in die Augen. Sie ist in der Tat eine sehr schöne Frau. Ihr hellbraunes und lockiges Haar hängt ihr offen über die Schultern. Ihre braunen Augen scheinen ihn einzuladen nur sie anzuschauen. Die leicht gezupften Augenbrauen unterstreichen diesen Effekt noch und machen ihre Augen zu einem starken Magneten für seine Blicke. Sie war ihm sofort aufgefallen, als er bei Rolfs Geburtstag erschien. Glücklicherweise stand sie nicht bei der Gruppe um Tamara, als er sich ihr, nach kurzem Blickkontakt, näherte. Es wäre selbst ihm etwas peinlich gewesen, in Gegenwart seiner Ex mit ihr ins Gespräch zu kommen. Tamara hatte er auch auf einer Party kennen gelernt. Aber nach wenigen Wochen war sein Interesse an ihr erloschen. Sie ging ihm nicht genug auf seine Wünsche ein. Und so beendete er ihr kurzes Verhältnis genauso schnell, wie es begonnen hatte. Dass sie darunter sehr litt, bereitete ihm dabei keine allzu großen Kopfschmerzen.
» Tut mir Leid, aber wir passen einfach nicht zusammen «, waren seine Worte, als er Tamara vor wenigen Tagen das Ende ihrer Beziehung mitteilte. Natascha stand bei einigen seiner Bekannten und nachdem sie sich vorgestellt hatten, kamen sie recht schnell ins Gespräch. Sie war zu Besuch hier in Alzey und würde nur einige Wochen bleiben. Als sie kurze Zeit später tanzten, war er von ihrem körperlichen Ausdruck überwältigt. Sie tanzte vor ihm wie ein Engel auf Wolken und bewegte sich überaus reizvoll. Schon nach kurzer Zeit regte sich in ihm mehr, als der Wunsch, enger mit ihr zu tanzen. Doch noch während er sich den Abend in rosigsten Farben ausmalte, klingelte ihr Handy.
» Sorry Björn, aber ich muss gehen «, sagte sie zu ihm, während sie sich ihre Jacke anzog. Er war völlig verdutzt, hing er doch noch in seinen Vorstellungen eines gelungenen Abends.
» Was ist denn los, ist was passiert? «
» Nichts schlimmes, ich kann nur nicht bleiben, vielleicht sehen wir uns ja noch mal in nächster Zeit. Bin ja noch drei Wochen hier. «
Björn schluckte. » Ich weiß ja nicht mal wo ich dich finden kann. Und deine Nummer hab ich auch nicht. «
Irgendwie klang er etwas hilflos, als er die Möglichkeit schwinden sah, diesen schönen Traum von einer Frau doch noch » näher « kennen zulernen.
Natascha grinste ihn an. » Gib mir deine Nummer, ich melde mich bei dir. «
*
Verlust
Jetzt schaut Ralf zum ersten Mal in Isas Augen. Er sieht, wie sie ihre mittelblonden und schulterlangen Haare hinter die Ohren streicht. Sie sieht, wie ihm die Tränen in die Augen steigen. » Sie kommen nicht mehr, nie mehr «, ist Ralfs erstickte Antwort. Er kramt sein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischt sich, die nun fließenden Tränen aus dem Gesicht. Bestürzt und fragend schaut sie Ralf an, wissend, dass sie den Finger genau in die Wunde gelegt hat.
» Was – was ist denn los, habt ihr euch verkracht oder was ist passiert? «
Ralf schnäuzt sich die Nase und versucht seine Tränen zurückzuhalten. Seit gestern Abend hatte er genug Tränen vergossen und ihm waren die dummen Sprüche von nicht weinenden Männern so egal geworden. Er schämte sich auch jetzt nicht und peinlich, peinlich war es ihm auch nicht. Zu tief war seine Trauer, als sich um solch banale Dinge zu sorgen.
» Nein, wir haben uns nicht zerstritten «, sagt er etwas gefasster.
» Was ist dann passiert? «, hakt Isa nach. Sie ist erleichtert, dass sie ihn hat zum Reden bringen können.
» Sie sind tot. «
» Oh Gott. «
Die bisher noch neugierig, auf den mit seiner Trauer kämpfenden Ralf blickenden Gäste, sind verstummt. Claudia, die das Geschehen vom Nebenraum aus beobachtet, schaut kurz nach den Gästen. Innerhalb weniger Minuten bringt sie Allen in Ralfs Nähe, nach Aufforderung die Rechnung. Zehn Minuten sitzen Isa und Ralf alleine.
» Das ist ja furchtbar – willst du darüber reden oder soll ich besser gehen? «
» Nein, bleib bitte, es tut gut zu reden, ich muss reden, ich muss es jemandem erzählen. «
Isa schaut ihn besorgt an, während ihm erneut die Tränen über seine Wangen laufen. » Lass dir Zeit «, sagt sie zu ihm, wissend welchen Schmerz er wohl zu bewältigen hat und welche tiefe Trauer sich gerade seiner Seele bemächtigt. Sie selbst hat in diesem Jahr ihre geliebte Oma verloren. Sie war an Gebärmutterkrebs erkrankt und die vielen Metastasen in ihrem Bauch waren inoperabel. Die Ärzte hatten sie nach Hause geschickt und die Familie gebeten ihr die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu machen. Als sie dann zwei Monate später starb, brach für Isa eine kleine Welt zusammen. Sie liebte ihre Oma abgöttisch. Mit ihr hatte sie über Dinge reden können, über die sie sonst mit niemandem sprach. Ihre Oma hatte immer ein offenes Ohr für sie. Und trotz des Generationsunterschiedes, hatte sie auch immer einen passenden Rat für ihr einziges Enkelkind. Jetzt war es November und seit der Beerdigung im Februar viel Zeit vergangen. Aber Ralfs Schmerz und seine Trauer weckten die Erinnerung daran neu. Mit ihm vor Augen fällt es ihr schwer, die eigenen Tränen ihrer Trauer und des Verständnisses für seinen Zustand zurück zu halten.
Ralf sieht, dass ihre Augen vor Nässe zu glänzen beginnen. » Verzeih Isa, ich will dich nicht mit meinem Zustand belasten, du musst nicht bleiben. «
Bist du es…? :
Bist du es…?
Liebessehnsucht
Deine Augen
Sehnen sucht…
Zu gern würd ich sagen…
Bist du es …?
Bist du es, die ich suche,
nach der ich mich verzehre,
deren Nähe ich so brauche,
die mich wieder lieben lehre?
Du zauberhaftes Wesen,
oh bitte, sag` doch ja,
dass Einsamkeit gewesen
und Träume werden wahr.
Bist du es, deren Lachen
ist so voller Magie,
die mein Herz lässt erwachen
und schlagen wild wie nie?
Der Blick in deine Augen,
die sinnlich, klar und rein,
der Blick, der macht mich glauben,
du könnt`st die Richt`ge sein.
Bist du es, die mir schenkt,
was Leben sinnvoll macht,
…………..
*
Liebessehnsucht
Wie sehn` ich mich nach dir,
du Engel ohne gleichen,
bin krank vor Sucht nach dir,
will niemals von dir weichen.
Ach, wärst du doch schon mein,
hätt` ich dich schon gefragt,
die Angst, dass du sagst nein,
an meiner Seele nagt.
Wenn ich die Augen schließe,
seh` ich nur dich vor mir,
oh, wie ich das genieße,
oh, wärst du doch bei mir.
Des Nachts, ich träum von dir,
gehst langsam auf mich zu,
…………..
*
Deine Augen
Deine Augen sind so fesselnd schön,
so hell und klar dein Blick,
in ihnen könnt` ich unter geh`n
und kehrte nie wieder zurück.
Deine Augen sind so voll Magie,
sie ziehen mich zu dir hin,
bis ich vergesse, was und wie,
nur du bleibst mir im Sinn.
Deine Augen sind die Sterne mir,
wie du bist meine ganze Welt,
………….
*
Sehnen sucht…
Dein freundlich-klarer Blick,
der oftmals zu mir schweift,
lässt schlagen ´s Herz vor Glück,
noch ehe es begreift.
Ich hoff` es ist Interesse,
das dich mich sehen lässt,
sonst trübt mein Aug` die Nässe,
hält`s dich auch trotzdem fest.
Mein Sehnen sucht die Liebe,
die du dann mit mir teilst,
wenn’s nur beim Blick nicht bliebe,
sondern du bei mir verweilst.
Ich weiß nicht, soll ich’s wagen,
und zu dir hin zu gehen,
zu gern` würd` ich dich fragen,
………..
*
Zu gern würd ich sagen…
Du sitzt gerade schräg neben mir
und ich schaue dich nur an,
zu gern` würd` ich jetzt sagen,
was ich dank dir fühlen kann.
Doch du hast keine Ahnung,
weißt nicht, wie`s um mich steht,
weißt nichts von meiner Sehnsucht,
in der meine Seele vergeht.
Ich blicke in deine Augen und sehe,
dass da, wohl nichts für mich ist,
zu gern`, würd` ich dir jetzt sagen,
wie wunderschön du doch bist.
Ich schau` auf deine glänzenden Lippen,
deinen sinnlich-roten Mund,
beim Gedanken, ich könnte ihn küssen,
schlägt mein rasendes Herz sich fast wund.
Deine Hand liegt vor mir auf dem Tisch,
sie ruht dort auf einem Papier,
zu gern` würd` ich sie jetzt ergreifen
und meine Liebe gestehen, zu dir.
Doch ich fürchte, du bist schon gebunden,
so was Hübsches ist niemals allein,
…………..